25. September 2023

Digital-Kompass Podcast: Episode 4

Was steckt hinter den digitalen Lern-Tandems?

Frau C. sitzt am Laptop und telefoniert gleichzeitig mit dem Handy. Dahinter eine Bücherwand.
Quelle
Albertinen Haus Hamburg

Digitale Lern-Tandems: Brücken zwischen Generationen und Technologien schlagen!

Teilnehmende des Rundtischgesprächs

Prof. Vanessa Mertins, Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Management sozialer Dienstleistungen an der Universität Vechta. Ihre Forschung konzentriert sich auf Freiwilligenarbeit und Freiwilligenmanagement, insbesondere im Bereich der Seniorenhilfe. Ihr Team ist bei den Forschungsprojekten an dem positiven gesellschaftlichen Einfluss interessiert und entwickelt Maßnahmen und Instrumente, um dieses Vorgehen zu messen und Programme entsprechend anzupassen.

Bernd Josef Leisen, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Vechta, Schwerpunkt Management sozialer Dienstleistungen. B. Leisen ist in der Lehre tätig und führt ebenfalls eine Vielzahl von Studierendenprojekten durch.

Merle Bahr, Studentin im Master-Studiengang Management sozialer Dienstleistungen an der Universität Vechta. Sie hat bereits am digitalen Lern-Tandem teilgenommen und vertritt in der Podcast-Runde die Studierendenseite.

Sabine von Heyden, (75 Jahre) nimmt seit Mai 2023 an dem digitalen Lern-Tandem teil und erfährt Unterstützung bei digitalen Themen durch ihre studentische Tandempartnerin.

Sascha Lang, Moderator und Radiosprecher, Produzent von Podcasts (u.a. Podcast IGEL – Inklusion ganz einfach Leben).

Was ist das digitale Lern-Tandem und worin liegt der Nutzen?

B. Leisen erklärt, dass das digitale Lern-Tandem zwei Hauptzielgruppen hat mit vielseitigem Mehrwert:

Die erste Zielgruppe umfasst Menschen, die gerne digitale Medien (Smartphone, Tablet und Computer) nutzen möchten, aber möglicherweise keine passenden Unterstützungsangebote in ihrer Region finden oder aufgrund von Mobilitätseinschränkungen Schwierigkeiten haben, persönlich daran teilzunehmen. Das Lern-Tandem bietet diesen Menschen eine einfache und motivierende Möglichkeit, sich mit digitalen Medien vertraut zu machen. Sie erhalten zu Beginn eine Lern-Tüte mit gedruckten Materialien, die beliebte digitale Themen abdecken. Über neun Wochen findet dann eine Eins-zu-eins-Betreuung mit einer studentischen Tandemperson statt, zeitlich flexibel und ortsunabhängig. Der Kontakt läuft z.B. telefonisch, per Videoanruf oder Messenger. Die zweite Zielgruppe sind Studierende, die nach attraktiven und flexiblen Möglichkeiten suchen, sich ehrenamtlich zu engagieren. Das digitale Lern-Tandem bietet die Möglichkeit, sich freiwillig zu engagieren und gleichzeitig das Studium und private Verpflichtungen zu bewältigen.

Welcher Bedarf kann in einem der Tandems zum Beispiel abgedeckt werden? Welche Herausforderungen, Wünsche und Probleme haben die Tandemteilnehmenden?

M. Bahr berichtet über ihre eigenen Erfahrungen und teilt mit, dass der Bedarf und die Herausforderungen der Menschen sehr unterschiedlich sind. In einem der Tandems half sie ihrem Tandempartner bei grundlegenden Smartphone-Funktionen, wie der Verwendung des Touchscreens und dem Auffinden von Apps oder der Kamera. Sie unterstützte auch bei der Versendung von E-Mails, Fotos und bei der Wiederherstellung gelöschter Bilder. Die Bedürfnisse reichten von einfachen bis hin zu komplexeren technischen Fragen.

Was können Gründe sein, am digitalen Lern-Tandem teilzunehmen? Welche Ängste oder Herausforderungen bestehen?

S. von Heyden nimmt am Lern-Tandem teil, weil sie viele Fragen hatte und Schwierigkeiten mit einigen Computer-Funktionen, wie das Erstellen von Ordnern, die Organisation von E-Mails, das Verwalten von Fotos und die Nutzung der Cloud. Sie findet die Idee des Tandems attraktiv, da sie aufgrund ihrer Schwerhörigkeit an öffentlichen Veranstaltungen schlecht teilnehmen kann. Seit ihrer Teilnahme hat sie viel gelernt, fühlt sich sicherer im Umgang mit digitalen Geräten und hat ihre anfänglichen Ängste erfolgreich abgebaut. Sie schätzt die Unterstützung ihrer studentischen Ansprechperson sehr: „Ich lerne wirklich gut und bin richtig zufrieden und freue mich jede Woche auf mein Date mit meiner Tandempartnerin“.

Worin sieht S. von Heyden einen persönlichen Mehrwert an der Teilnahme am digitalen Lern-Tandem für ihre studentische Tandempartnerin? Was hat sie dazu motiviert, sich trotz ihres Alters mit digitalen Technologien auseinanderzusetzen und zu lernen, anstatt sich von ihnen abzuwenden?

S. von Heyden empfindet in erster Linie, dass sie selbst von dem Lern-Tandem sehr viel mehr profitiert. Sie lobt und gibt Anerkennung an ihre Studentin und ermutigt sie. Sie bemerkt, dass beide voneinander lernen, manchmal eignet sich die Studentin ebenfalls für sie neue Informationen zu bestimmten Themen an, um diese in den nächsten Sitzungen dann gemeinsam zu behandeln.

Ihre Motivation, sich mit der digitalen Welt vertraut zu machen, kommt aus dem Wunsch, an der modernen Gesellschaft teilzunehmen und nicht den Anschluss zu verlieren. Sie erkennt, dass viele alltägliche Aktivitäten, wie Flugbuchungen oder der Zugang zu kulturellen Veranstaltungen, digitale Kenntnisse erfordern. S. von Heyden möchte ihre gesellschaftliche Teilhabe sicherstellen.

Was hat M. Bahr dazu motiviert, an zwei Lern-Tandem-Projekten teilzunehmen? Welchen persönlichen Mehrwert erlebt sie durch ihre Teilnahme an dem digitalen Lern-Tandem?

M. Bahrs Motivation, am Lern-Tandem teilzunehmen, liegt darin, dass sie zuvor ihre Urgroßmutter im Altenheim unterstützt hat, die Schwierigkeiten mit ihrem Handy hatte. Sie schrieb Schritt-für-Schritt-Anleitungen und half ihr bei der Bedienung. Als sie von dem digitalen Lern-Tandem an der Universität Vechta erfuhr, sah sie dies als eine perfekte Gelegenheit, anderen Menschen, die ähnliche Probleme mit Mobilgeräten hatten, zu helfen. Sie wollte insbesondere älteren Menschen, die möglicherweise in Pflegeheimen leben oder weit von ihren Familien entfernt sind, die Möglichkeit bieten, sicher mit ihren Handys umzugehen und leichter Kontakt aufnehmen zu können. Merle ist auch weiterhin aktiv in den Lern-Tandems und pflegt regelmäßigen Kontakt zu ihren Tandempartnern. Den Mehrwert, den M. Bahr aus ihrer Teilnahme an den Tandems zieht, kommt von der Freude am Lern-Fortschritt und der Dankbarkeit der Tandempartner: „Es ist einfach schön zu sehen, wie dankbar die Leute sind und wie einfach Probleme zu lösen sind und wie sehr man damit helfen kann“. Die investierte Zeit ist im Vergleich zu den positiven Auswirkungen gering, es erfüllt sie, einen Beitrag zu leisten.

Wie werden die Studierenden darauf vorbereitet mit den Menschen in den Lern-Tandems umzugehen, insbesondere mit älteren Personen oder solchen mit besonderen Bedürfnissen wie Schwerhörigkeit?

Eine verpflichtende Vorbereitung ist für die Studierenden vorgesehen, die das digitale Lern-Tandem als Teil eines universitären Moduls absolvieren möchten. Dieses umfasst ein E-Learning-Programm, das verschiedene Inhalte zur digitalen Medienkompetenz, Lernen im Alter u.v.m. behandelt. Es enthält auch Informationen zu Videokonferenzen, Didaktik und Lernbegleitung. Zusätzlich gibt es Gruppenreflexionen, bei denen die Studierenden Online-Erfahrungen, Herausforderungen und Erfolge teilen und diskutieren können. Dieser Ansatz fördert den Austausch und die Unterstützung unter den Studierenden und ermöglicht es ihnen, von den Erfahrungen anderer zu lernen.

Für die Studierenden, die sich ehrenamtlich im digitalen Lern-Tandem engagieren wird eine freiwillige Fortbildung angeboten.  Das gegenseitige voneinander Lernen der Tandempaare steht bei dem Angebot im Fokus. Studierende können ihre Fähigkeiten im Umgang mit ihren Tandempartnerinnen und Tandempartnern selbst entwickeln.

Wie wichtig ist der Austausch mit anderen Studierenden, insbesondere in Bezug auf die Bewältigung von Problemen oder Fragen, die während des Tandemprojekts auftreten könnten?

M. Bahr hatte gelegentlich Kontakt mit anderen teilnehmenden Studierenden. Der Austausch war besonders hilfreich, wenn es um Unterschiede zwischen verschiedenen Smartphone-Betriebssystemen ging, da sie ein iPhone hatte und einige Funktionsweisen auf Android-Geräten nicht kannte. Sie sieht den Kontakt zu anderen Studierenden als wichtig und nützlich an, insbesondere wenn es darum geht, Unsicherheiten zu klären oder von anderen zu lernen, wie sie mit bestimmten Situationen umgehen kann.

Wie sieht die wissenschaftliche Begleitforschung in diesem Projekt aus, insbesondere im Hinblick auf das Thema Ehrenamt und die Zusammenarbeit der Tandems?

Prof.in Mertins erläutert, dass das Team Daten aus verschiedenen Quellen erhebt, darunter anonymisierte Interaktionsdaten der Tandempaare mithilfe der Fragebögen für die Seniorinnen und Senioren sowie für die Studierenden. Diese Daten werden sowohl zu Beginn als auch am Ende des Tandemprojekts gesammelt, um Veränderungen und Fortschritte zu erfassen. Die Daten dienen dazu, Bedarfe und Zufriedenheit der Teilnehmenden zu erkennen, Kriterien für Zufriedenheit zu identifizieren und das Programm entsprechend anzupassen. Die Forschung zielt auch darauf ab, die Motivation der Freiwilligen im Tandemprojekt zu verstehen und Faktoren wie Mitgefühl, persönliches Wachstum und das Gefühl, gebraucht zu werden, zu erfassen. Die gesammelten Daten ermöglichen Vergleiche mit anderen freiwilligen Programmen und könnten dazu beitragen, das Ehrenamt interessanter und attraktiver zu gestalten.

B. Leisen ergänzt hierzu: Es werden validierte Skalen verwendet, um die Attraktivität der Tätigkeit im Lern-Tandem zu ermitteln und Verbesserungsbereiche zu identifizieren. Studierende, die das Tandemprojekt im Rahmen eines Moduls belegen führen Lerntagebücher, in denen sie Herausforderungen, Barrieren, demotivierende und motivierende Erlebnisse dokumentieren. Diese Informationen sind wertvoll für die Verbesserung des Programms. Die Forschung interessiert sich auch dafür, wie die Lernbegleitung und Wissensvermittlung auf Distanz funktioniert. Dies ist eine herausfordernde Aufgabe, da die Interaktion ausschließlich online stattfindet. Nützliche Empfehlungen und Techniken werden mithilfe eines „Werkzeugkoffers“ den Studierenden mitgegeben.

Wie wird die Auswahl und Zusammensetzung der Tandems im Lern-Tandem-Projekt durchgeführt um Studierende sowie Seniorinnen und Senioren zusammenzubringen?

B. Leisen schildert, dass die Auswahl und Zusammensetzung der Tandems erfolgt, indem Interessierte sich anmelden, entweder telefonisch, per E-Mail oder online über ein Anmeldeformular. Bei der Anmeldung geben sie an welche Endgeräte sie verwenden und für welche Geräte sie Hilfe benötigen, wie PC, Tablet oder Smartphone. Außerdem wird erfasst, welches Betriebssystem sie verwenden, z.B.  Apple oder Android. Anhand dieser Informationen werden passende Tandems gebildet. Die Kontaktdaten der Tandem-Teilnehmenden werden ausgetauscht und die neunwöchige Tandemphase beginnt.

Weitere Informationen und Anmeldung zu den digitalen Lern-Tandems: www.digital-kompass.de/lerntandems 

Zur aktuellen Podcast-Folge geht es hier.

Redaktion Blogbeitrag: Mayumi E. Feuerlein

Von
M.-Ch. Möhring